Hilfe Warenkorb Konto Anmelden
 
 
   Schnellsuche   
     zur Expertensuche                      
Mindfulness: Das Prinzip Achtsamkeit - Die Anti-Burn-out Strategie
  Großes Bild
 
Mindfulness: Das Prinzip Achtsamkeit - Die Anti-Burn-out Strategie
von: Ellen J. Langer
Verlag Franz Vahlen, 2015
ISBN: 9783800649174
197 Seiten, Download: 899 KB
 
Format: EPUB, PDF
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
eBook anfordern
Leseprobe

19Teil I
Gedankenlosigkeit
(Mindlessness)


21Kapitel 1
Ein Stück Holz wird gewünscht


„Aus der Zeit schneiden wir uns ‚Tage‘ und ‚Nächte‘,
‚Sommer‘ und ‚Winter‘ heraus. Wir sagen, was jedes Teil
des wahrnehmbaren Kontinuums ist, und jedes
abstrakte Was ist ein Begriff.

Das intellektuelle Leben des Menschen besteht fast ganz darin,
dass er ein konzeptuelles (begriffliches) System einsetzt
anstelle des perzeptionellen (wahrnehmenden) Systems,
aus dem seine Erfahrung ursprünglich stammt.“

William James, The World We Live In

Stellen Sie sich vor, es ist zwei Uhr nachts. Plötzlich schrillt die Haustürklingel. Sie stehen erschrocken auf und gehen nach unten. Sie öffnen die Tür, und vor Ihnen steht ein Mann. Er trägt zwei Diamantringe, hat einen Mantel mit Pelzkragen an, und hinter ihm steht ein Rolls-Royce. Er bittet um Entschuldigung, dass er Sie zu einer so unmöglichen Zeit geweckt hat, aber er steckt mitten in einer „Scavengerjagd“5, wie er sagt. Seine Exfrau nimmt ebenfalls teil, deshalb ist es für ihn besonders wichtig, dass er gewinnt. Er braucht ein Stück Holz von ungefähr einem mal zwei Meter. Ob Sie ihm helfen können? Damit es sich für Sie lohnt, will er Ihnen zehntausend Dollar geben. Sie glauben ihm das. Er ist offensichtlich reich. Und Sie fragen sich: Wie um alles in der Welt kann ich ihm so ein Stück Holz beschaffen? Ihnen fällt der Heimwerkermarkt ein; leider wissen Sie nicht, wie der heißt; übrigens wissen Sie auch nicht genau, wo der eigentlich liegt. Jetzt, mitten in der Nacht, ist er bestimmt auch geschlossen. Sie mögen sich noch so anstrengen, Ihnen fällt nichts Brauchbares ein. Und bedauernd sagen Sie: „Tut mir leid, ehrlich …“

22Am nächsten Tag kommen Sie auf dem Weg zu Freunden an einer Baustelle vorbei und entdecken ein Stück Holz in genau den richtigen Maßen, ein Meter mal zwei Meter – eine Tür! Sie hätten nur ein Türblatt auszuhängen und ihm zu geben brauchen – für 10 000 Dollar!

Wieso eigentlich ist mir das heute Nacht nicht eingefallen, fragen Sie sich. Es ist Ihnen nicht eingefallen, weil Ihre Tür gestern nicht „ein Stück Holz“ war. Dieses ein mal zwei Meter große Stück Holz war vor Ihnen verborgen in einer Kategorie mit Namen „Tür“.

Diese Art Gedankenlosigkeit, die meistens in langweiligerem Gewand auftritt – „Warum hab ich nicht an Susan gedacht? Die kann doch Abflüsse reinigen!“ – kann man unter „Gefangensein in Kategoriendenken“ einordnen. Das ist die erste von drei Definitionen, die uns das Wesen der Gedankenlosigkeit verständlich machen. Die anderen beiden werden wir auch erklären; es sind mechanisches oder automatisches Reagieren und das Handeln unter einer einzigen Perspektive.

Gefangen im Kategoriendenken


Wir erfahren die Welt, indem wir Kategorien schaffen und Unterscheidungen treffen. „Dies ist eine chinesische und keine japanische Vase.“ – „Nein, er ist noch Schüler.“ – „Das Knabenkraut steht unter Naturschutz.“ – „Sie ist jetzt seine Vorgesetzte.“ Auf diese Weise machen wir uns ein Bild von der Welt und von uns selbst. Ohne Kategorien würden wir die Welt nicht begreifen können. Tibetische Buddhisten nennen diese Denkgewohnheit den „Herrn der Sprache“: „Wir benutzen Gruppen von Kategorien, die als Handhabe dienen, um Phänomene zu meistern. Die vollkommensten Produkte dieses Bestrebens sind Ideologien, Systeme von Ideen, die unser Leben rationalisieren, rechtfertigen und gutheißen. Nationalismus, Kommunismus, Existentialismus, Christentum, Buddhismus – sie alle versehen uns mit Identitäten, Gesetzen des Handelns und Deutungen, wie und warum Dinge so geschehen, wie es der Fall ist.“6

23Die Schaffung neuer Kategorien ist, wie wir in diesem Buch immer wieder sehen werden, eine achtsame Tätigkeit. Gedankenlosigkeit setzt ein, wenn wir uns zu starr auf Kategorien und Unterscheidungen verlassen, die aus der Vergangenheit stammen (männlich/weiblich, alt/jung, Erfolg/Versagen). Wenn Unterscheidungen einmal gemacht worden sind, gewinnen sie ein Eigenleben. Zum Beispiel: 1. Zuerst gab es die Erde. 2. Dann gab es Land, Meer und Himmel. 3. Dann gab es Länder. 4. Dann gab es ein Deutschland. 5. Dann gab es ein Deutschland-Ost gegenüber einem Deutschland-West. – Die Kategorien, die wir bilden, gewinnen an Stoßkraft und sind nur schwer abzubauen. Wir entwickeln eigene und gemeinsame Wirklichkeiten und werden dann ihre Opfer – blind gegenüber der Tatsache, dass sie bloß Konstrukte sind, Ideen.

Wenn wir die Kategorien eines früheren Zeitalters betrachten, die einst durchaus Gültigkeit hatten, erkennen wir leichter, warum neue notwendig werden können. Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges zitiert aus einer alten chinesischen Enzyklopädie, in der Tiere folgendermaßen klassifiziert sind: „a) dem Kaiser gehörend, b) einbalsamiert, c) gezähmt, d) Ferkel säugend, e) Sirenen, f) streunende Hunde, g) in die geltende Klassifizierung eingeschlossen, h) rasend, i) unzählbar, j) mit einem sehr feinen Kamelhaarpinsel gezeichnet, k) Sonstige, l) die gerade den Wasserkrug zerbrochen haben, m) die aus großer Entfernung wie Fliegen aussehen.“7

Gedankenlos sein heißt, in einer starren Welt gefangen sein, in der manche Geschöpfe immer dem Kaiser gehören, Christentum immer gut ist, manche Leute immer Unberührbare bleiben und Türen nur Türen sind.

24Mechanisches Verhalten


Haben Sie jemals in einem Laden „Verzeihung“ zu einer Ankleidepuppe gesagt oder im Januar einen Scheck mit dem Datum des Vorjahres ausgestellt? Wenn wir das tun, nehmen wir nur beschränkt Signale von der Außenwelt auf (die weibliche Form, das vertraute Aussehen des Schecks); wir benutzen sie, ohne andere Signale (die unbewegte Pose, einen Kalender) ebenfalls zuzulassen.

Einmal reichte ich in einem kleinen Kaufhaus der Kassiererin eine neue Kreditkarte. Sie bemerkte, dass ich sie noch nicht unterschrieben hatte, und gab sie mir zurück, damit ich das nachholte. Dann nahm sie meine Karte, ließ sie durch ihre Maschine laufen, reichte mir die ausgedruckte Quittung und bat mich, sie zu unterschreiben. Ich tat es. Jetzt hielt die Kassiererin diese Quittung neben die eben erst unterschriebene Kreditkarte, um die Unterschriften zu vergleichen.

Die neuere Psychologie hat der Frage, wie viel bei einer komplizierten Verrichtung mechanisch geschieht, noch nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet; dabei haben schon 1896 Leon Solomons und Gertrude Stein sich mit dem Problem beschäftigt. (Es war die Gertrude Stein; sie studierte von 1893 bis 1898 an der Harvard University Experimentelle Psychologie und arbeitete unter William James.) Sie untersuchten, was damals „Doppelte Persönlichkeiten“ (Double personalities) und später „Gespaltene Persönlichkeiten“ (Split personalities) genannt wurde. Nach ihrer Theorie ähnelte das gedankenlose Handeln der zweiten Persönlichkeit im Wesentlichen dem der normalen Menschen. Auch normale Menschen beschäftigen sich zu einem großen Teil mit komplizierten Vorgängen, ohne ihnen bewusst Aufmerksamkeit zu widmen. Solomons und Stein führten mehrere Experimente durch, bei denen sie selbst die Versuchspersonen waren, und bewiesen, dass man sowohl mechanisch schreiben als auch mechanisch lesen kann. Es gelang ihnen, englische Wörter zu schreiben, während sie im Übrigen vom Lesen einer spannenden Geschichte gefesselt waren. Mit einiger Übung waren sie sogar in der Lage, mechanisch Diktate aufzunehmen, während sie lasen. Hinterher konnten sie sich nicht erinnern, welche Wörter sie geschrieben hatten, waren aber ganz sicher, dass sie etwas geschrieben hatten. Um zu zeigen, dass man 25mechanisch lesen kann, las die Versuchsperson laut aus einem Buch vor, während ihr selbst eine spannende Geschichte vorgelesen wurde. Abermals stellten sie fest, dass sie bei viel Übung fließend laut lesen konnten, während sie ihre Aufmerksamkeit ganz der ihnen vorgelesenen Geschichte widmeten.

Solomons und Stein schlossen daraus, dass eine große Anzahl von Verrichtungen, die wir für geistige Leistungen halten, wie Lesen und Schreiben, mechanisch erledigt werden können: „Wir haben eine allgemeine Tendenz bei normalen Menschen aufgezeigt, ohne ausdrücklichen Wunsch oder bewusstes Wollen zu handeln, auf eine Art und Weise, die in allgemeiner Übereinstimmung mit den früheren Gewohnheiten einer Person steht.“8

Ein Experiment, das ich 1978 zusammen mit meinen Kollegen Benzion Chanowitz und Arthur Blank durchführte, sollte diese Art Gedankenlosigkeit erforschen.9 Es fand im Graduate Center der City University of New York statt. Wir sprachen Leute an, die an einem Fotokopierer arbeiteten, und baten sie, uns gleich etwas kopieren zu lassen. Wir gaben entweder einen vernünftigen oder einen sinnlosen Grund an. Die gleichen Reaktionen auf vernünftige und sinnlose Begründungen würden beweisen, dass unsere Versuchspersonen nicht über das nachdachten, was gesagt wurde. Wir gaben eine von drei Formulierungen: „Entschuldigung, kann ich den Kopierer mal eben benutzen?“ – „Entschuldigung, kann ich den Kopierer mal eben benutzen, weil ich ein paar Fotokopien machen muss?“ – „Entschuldigung, kann ich den Kopierer mal eben benutzen, weil ich es eilig habe?“

Die erste und die zweite Formulierung sind inhaltlich gleich – was sonst will man auf einem Kopierer, als Fotokopien machen?...



nach oben


  Mehr zum Inhalt
Kapitelübersicht
Kurzinformation
Inhaltsverzeichnis
Leseprobe
Blick ins Buch
Fragen zu eBooks?

  Navigation
Belletristik / Romane
Computer
Geschichte
Kultur
Medizin / Gesundheit
Philosophie / Religion
Politik
Psychologie / Pädagogik
Ratgeber
Recht
Reise / Hobbys
Sexualität / Erotik
Technik / Wissen
Wirtschaft

  Info
Hier gelangen Sie wieder zum Online-Auftritt Ihrer Bibliothek
© 2008-2024 ciando GmbH | Impressum | Kontakt | F.A.Q. | Datenschutz