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Sucht und Suizidalität
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Sucht und Suizidalität
von: Barbara Schneider, Tilman Wetterling, Oliver Bilke-Hentsch, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Michael Klein
Kohlhammer Verlag, 2015
ISBN: 9783170287990
170 Seiten, Download: 3533 KB
 
Format: EPUB, PDF
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

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Allgemeine und klinische Epidemiologie


 

2.1        Epidemiologie von Suchterkrankungen


2.1.1      Allgemeine Epidemiologie von Suchterkrankungen


Die Angaben zur Häufigkeit von Suchterkrankungen hängen von dem betrachteten Zeitraum (z. B. Jahres- vs. Lebenszeitprävalenz) und von der untersuchten Region ab. Aus Deutschland liegen repräsentative und regelmäßig erhobene Daten zu dem Substanzgebrauch in der Bevölkerung vor (Epidemiologischer Suchtsurvey). Die Zahl der Betroffenen in Deutschland in der Altersgruppe zwischen 18 und 64 Jahren nach dem Suchtsurvey (Pabst et al. 2013) zeigt Tabelle 2.1.

Tab. 2.1: Prävalenz (Häufigkeit) von Suchterkrankungen in Deutschland (Suchtsurvey, Pabst et al. 2013)

Da in den höheren Altersgruppen die Suizidrate deutlich steigt (Statistisches Bundesamt Deutschland 2014), ist die Frage einer Altersabhängigkeit von Suchterkrankungen von Bedeutung. In dem Suchtsurvey 2012 war eine deutliche Altersabhängigkeit für einen riskanten Alkoholkonsum in den untersuchten Altersgruppen von 18 bis 64 Jahre nicht nachweisbar, aber der Anteil derjenigen, die die Kriterien für einen Missbrauch oder eine Abhängigkeit nach DSM-IV erfüllten, sank von der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen (6,0 % bzw. 6,4 %) deutlich bis zu der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen (0,8 % bzw. 1,1 %; Pabst et al. 2013). Der Anteil derjenigen, die einen risikohaften Alkohol- oder Rauschkonsum betrieben, sank in einer anderen Befragung, in der auch 65- bis 79-Jährige berücksichtigt wurden, kontinuierlich mit dem Alter (Robert-Koch-Institut 2014; Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2014).

Der Anteil der Raucher an der jeweiligen Altersgruppe nimmt mit dem Alter ab (25- bis 29-Jährige: 36,6 % auf 60- bis 64-Jährige: 21,3 %); jedoch steigt unter den Rauchern der Anteil derjenigen an, die 20 oder mehr Zigaretten pro Tag rauchen (18- bis 20-Jährige: 5,9 % auf 60- bis 64-Jährige: 38,9 %; Pabst et al. 2013). Eine Nikotinabhängigkeit (nach DSM-IV) wiesen insgesamt 10,8 % der Bevölkerung auf (13,8 % der 25- bis 29-Jährigen und 7,4 % der 60- bis 64-Jährigen). Auch der Konsum von illegalen Substanzen wie Cannabis, Kokain und Amphetaminen zeigt eine deutliche Altersabhängigkeit. Die über 50-Jährigen gebrauchten kaum illegale Drogen (Pabst et al. 2013).

Die Prävalenz der Anwendung von opioidhaltigen Schmerzmitteln, Schmerzmitteln mit Koffein, Benzodiazepinen und Z-Drugs (Zolpidem, Zopiclon, etc.) zeigte eine deutliche Altersabhängigkeit: Medikamentengebrauch nimmt ab dem 50. Lebensjahr erheblich zu, vor allem bei Frauen. Dies betrifft insbesondere Benzodiazepine und Z-Drugs (Robert-Koch-Institut 2014; Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2014).

Geschlechtsunterschiede sind für den Konsum vieler psychotroper Substanzen beschrieben worden (Kraus et al. 2013). Sowohl beim Gebrauch von Alkohol und Nikotin als auch von illegalen Drogen überwiegen die Männer; umgekehrt ist der Gebrauch von Medikamenten bei Frauen sehr viel verbreiteter (Robert-Koch-Institut 2014; Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2014). In dem Gesundheitssurvey 2012, in dem nur Personen bis 64 Jahren befragt worden sind, sind aber die Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Anteile derjenigen, die einen Missbrauch von Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln betreiben bzw. von diesen Mitteln abhängig sind, nicht groß (Kraus et al. 2013). Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass besonders häufig ältere Frauen (> 65 Jahre) eine Medikamentenabhängigkeit entwickeln.

2.1.2      Klinische Epidemiologie von Suchterkrankungen


Da viele Substanzabhängige sich nicht wegen des Gebrauchs psychotroper Substanzen in ärztliche Behandlung begeben, zeigen sich bei der Betrachtung der klinischen und bevölkerungsbasierten epidemiologischen Daten mitunter erhebliche Unterschiede.

Bei den männlichen Krankenhauspatienten in Deutschland sind psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (ICD-10: F10) die häufigste Hauptdiagnose (2012: etwa 250.000), während sich unter den 20 häufigsten Hauptdiagnosen bei Frauen keine suchtspezifische findet (Statistisches Bundesamt 2014). Etwa 20 % der Krankenhauspatienten zeigen einen problematischen Alkoholkonsum, besonders Männer und Bewohner ländlicher Regionen (Coder et al. 2008). Die Krankenhausaufnahmen wegen Alkoholintoxikation haben in Deutschland in den Jahren von 2003 bis 2012 um 72 % auf 121.595 zugenommen, besonders stark bei Jugendlichen (Statistisches Bundesamt Deutschland 2014). Unter allen substanzbedingten Krankenhausaufnahmen machen Cannabis-bedingte nur einen kleinen Teil (< 5 %) aus.

In psychiatrischen Kliniken machen substanzbezogene Störungen (ICD-10: F1) mit etwa 40 % einen großen Teil der stationären Aufnahmen aus. Im Vergleich zu anderen Krankenhausabteilungen werden in psychiatrischen Kliniken vor allem schwerer Abhängige behandelt. Ab dem 64. Lebensjahr nimmt der Anteil der Suchtkranken deutlich ab. Mit zunehmendem Alter sinkt auch der Anteil der Mehrfachabhängigkeiten (ohne Nikotin) stark (Wetterling und Kugler 2006). Die Aufnahmedaten aus psychiatrischen Kliniken zeigen, dass illegale Drogen unter den über 65-Jährigen keine Rolle mehr spielen, sondern Alkohol und vor allem bei Frauen Benzodiazepine und Z-Drugs überwiegend anzutreffen sind. In der Altersgruppe 50 bis 74 Jahre treten gehäuft kognitive und psychische Störungen infolge des Substanzkonsums auf (ebd.).

Von den Patienten bei niedergelassenen Allgemeinärzten haben etwa 7,2 % eine Alkoholabhängigkeit und 3,5 % betreiben einen Alkoholmissbrauch, d. h., etwa 10 % haben ein Alkoholproblem (Hill et al. 1998). Unter den 20 häufigsten Diagnosen der Fälle, die bei niedergelassenen Psychiatern in Deutschland behandelt werden, taucht nur Alkoholabhängigkeit auf (Platz 14 mit 3,1 % der Fälle, Schneider et al. 2011c).

Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt in Deutschland der Tabakgebrauch auf Platz 2 und der Alkoholgebrauch auf Platz 4 der durch Erkrankung verlorenen Lebensjahre (DALYs) (Lim et al. 2012).

2.2        Epidemiologie suizidalen Verhaltens


Mehr als 800.000 Menschen nehmen sich weltweit jährlich das Leben; nach Schätzungen der WHO werden im Jahr 2020 etwa 1,5 Millionen Menschen durch Suizid versterben. Derzeit nimmt sich etwa alle 40 Sekunden ein Mensch das Leben (WHO 2014). Nach den letzten verfügbaren Daten versterben ca. 125.000 Menschen in Europa jährlich durch Suizid, fast 80 % davon sind Männer (ebd.). Für diese Verteilung zwischen den Geschlechtern gibt es viele mögliche Gründe: Unterschiede im Hilfesuchverhalten, Präferenzen für bestimmte Suizidmethoden, aber auch Verfügbarkeit und Muster des Alkoholkonsums. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich etwa zehn- bis vierzigmal so viele Suizidversuche wie vollendete Suizide ereignen. (Zur weiteren Begriffsbestimmung und den Definitionen von Suizidalität Kap. 3.2.2.)

In den letzten 45 Jahren haben die Suizidraten weltweit um 60 % zugenommen. Suizid ist eine der drei häufigsten Todesursachen in den Altersgruppen zwischen 15 und 44 Jahren in einigen Ländern und die zweithäufigste Todesursache in der Altersgruppe zwischen 10 und 24 Jahren. Länder mit besonders hohen Suizidraten sind die osteuropäischen Länder (WHO 2014), nach neuesten Statistiken aber auch viele asiatische Länder. Suizid führte nach Schätzungen zu 1,3 % der ›Total global burden of disease‹ (Krankheitslast, gemessen in Disability-Adjusted Life Years DALY) und wird im Jahr 2020 zu 2,4 % in Ländern mit Marktwirtschaft und in früheren sozialistischen Staaten führen (WHO 2014).

In Deutschland ist in den letzten 30 Jahren die Zahl der Suizide zurückgegangen. Während im Jahr 1982 sich in Gesamtdeutschland 18.451 Suizide ereigneten, lag im Jahr 2012 die Zahl aller Suizide bei 9.890 (7.287 Männer und 2.603 Frauen). Damit war in Deutschland die Zahl der Suizide höher als die Gesamtsumme der Todesfälle durch Verkehrsunfälle (3.794), Morde (403), Drogen (944) und AIDS (410) (Statistisches Bundesamt Deutschland 2014). Der Rückgang der Suizidraten in Deutschland korrespondiert mit dem Rückgang in anderen Industrieländern. Gesellschaftliche Veränderungen spielen langfristig für den Verlauf von Suizidraten eine große Rolle. Männer haben in Deutschland wie in vielen anderen Industriestaaten eine dreifach höhere Suizidrate als Frauen.

Die Verteilung der Suizidraten in Deutschland folgt dem sogenannten ungarischen...



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