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Der Körper als Bühne der Seele - Psychosomatik in der Physiotherapie
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Der Körper als Bühne der Seele - Psychosomatik in der Physiotherapie
von: Astrid Kathrein
Hogrefe AG, 2017
ISBN: 9783456956619
320 Seiten, Download: 1740 KB
 
Format: EPUB, PDF
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

2 Psychosomatik – Erklärungsansätze


Psychosomatische Modelle, in denen Zusammenhänge zwischen Körper und Seele, zwischen Gesundheit und Krankheit diskutiert werden, haben schon eine längere Tradition (vgl. Kap. 1). Doch wie wird die Wechselwirkung zwischen Körper und Seele heute erklärt? Zur Veranschaulichung greife ich auf verbreitete medizinische und psychologische Ansätze zurück, in denen auch (patho)physiologische Abläufe bei der körperlichen Symptombildung, die vielen Leser(inne)n bekannt sein werden, beleuchtet werden. Insbesondere liegt der Fokus darin jedoch auf dem Einfluss von seelischen Faktoren und des sozialen Kontextes auf die körperlichen Beschwerden und vice versa. Dabei zeigt sich, dass sich aufgrund der Forschung in den vergangenen Jahren zwar manche Vorstellungen verändert haben, die zentralen Aussagen früherer Theorien jedoch nach wie vor in aktuellen Konzeptionen der Medizin und Psychologie enthalten sind.

2.1 Stressmodelle


Stress als subjektives und objektives Phänomen


Von den zahlreichen Modellen, die den Einfluss von Stress auf die Gesundheit unter verschiedenen Aspekten beschreiben, haben sich in der aktuellen Forschung jene durchgesetzt, die neben der äußeren Reizeinwirkung auch individuelle und soziale Faktoren berücksichtigen (Boll-Klat, 2005). Bestimmte Situationen wie kritische Lebensereignisse sind zwar für viele Menschen mit einem gewissen Ausmaß an Belastung verbunden, dennoch ist vor allem die subjektive Bewertung des Ereignisses und des eigenen Handlungsspielraums durch die betroffene Person ausschlaggebend für das Erleben von Stress. Für die Beschreibung dieses Zusammenspiels zwischen objektiver Herausforderung und subjektiver Einschätzung der Bewältigung eignet sich beispielsweise das transaktionale Stressmodell von Lazarus (u.a. Boll-Klatt, 2005; Folkman, 1984; Schwarzer, 2000). Darüber hinaus beeinflusst das soziale Umfeld wesentlich den Umgang einer Person mit belastenden Ereignissen, wozu sowohl die Unterstützung von nahestehenden Personen als auch berufliche Bedingungen zählen (Boll-Klatt, 2005). Mit den Auswirkungen von Arbeitsstruktur und -atmosphäre auf die Gesundheit hat sich unter anderen der Medizinsoziologe Johannes Siegrist auseinandergesetzt, indem er im Effort-Reward Imbalance Modell die Anstrengung (effort) am Arbeitsplatz der dafür erhaltenen Anerkennung (reward) gegenüberstellt (Siegrist, 1996, 2001a).

Hinweis für die Praxis

In der therapeutischen Praxis können stressreduzierende Interventionen darin bestehen, dass an der Veränderung der Umgebungsbedingungen, der persönlichen Bewertung und des Umgangs gearbeitet sowie das soziale Umfeld einbezogen wird (Nater et al., 2011; Vögele, 1998).

Das (Wieder)Erlernen von Bewältigungsstrategien ist insbesondere bei chronischen Erkrankungen und Schmerzen ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung, da hier der Belastungsreiz nicht unmittelbar eliminiert, jedoch eine höhere Schmerztoleranz durch derartige Maßnahmen erreicht werden kann (Vögele, 1998).

(Patho)Physiologische Prozesse


In der Stressforschung haben außerdem jene Erklärungsansätze eine große Verbreitung erfahren, die die Auswirkungen von Stress auf neuronaler, immunologischer und hormoneller Ebene beschreiben (Boll-Klatt, 2005). In diesem Zusammenhang weisen Schonecke und Herrmann auf Hans Selye hin, der als einer der Pioniere dieser Forschungsrichtung gilt und das Konzept des Adaptationssyndroms entwickelt hat. Dieses bezieht sich auf die physiologischen Prozesse und das Verhalten bei Einwirkung eines Stressreizes auf ein Individuum. Es kann in folgende Phasen unterteilt werden:

  • Alarmreaktion
  • Widerstandsphase
  • Phase der Erschöpfung.

Die Alarmreaktion ist von akuten körperlichen Prozessen, wie rasche Erhöhung der Herzfrequenz, gekennzeichnet, während sich diese in der Widerstandsphase wieder legen und eine Anpassung an die Situation erfolgt. Bei einer Belastung von langer Dauer und/oder hoher Intensität kommt es jedoch zu einer Erschöpfung, die auch unmittelbar auf die Alarmreaktion folgen kann. Schonecke und Herrmann heben an diesem Modell hervor, dass das Individuum in der Interaktion mit seinem Umfeld als flexibel betrachtet wird. Diese Anpassungsfähigkeit ist aufgrund der sich laufend verändernden situativen Gegebenheiten erforderlich, wobei die Konfrontation mit einem Stressreiz die Handlungskompetenz erweitern und damit den Umgang mit weiteren Anforderungen verbessern kann (Schonecke & Herrmann, 1998).

In aktuellen Stressmodellen wird die im Temporallappen gelegene Amygdala, der Mandelkern, neben Arealen der Hirnrinde als eine wesentliche Schaltstelle für die bei einer Stressreaktion zugrundeliegenden neuronalen und hormonellen Prozesse gesehen (Boll-Klatt, 2005; Hüther, 2007). Die Amygdala als Teil des Großhirns gehört zum limbischen System und ist wesentlich bei Verhaltensweisen und Lernprozessen beteiligt, die mit Emotionen verbunden sind, wie dies z.B. auch bei Angst im Rahmen einer Stresssituation der Fall ist (Trepel, 1999). Der Neurobiologie Gerald Hüther fasst zusammen, dass bei Eintreffen eines Stressreizes zunächst vermehrt Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmark freigesetzt werden, wobei die Aktivierung auf neuronalem Weg über das sympatho-adrenomedulläre (SAM) System, bestehend aus sympathischem Nervensystem und Nebennierenmark, erfolgt (s. Abb. 2-1). Diese führt unter anderem zu einer Erweiterung der Bronchien, Konstriktion der Blutgefäße, Erhöhung der Herzfrequenz und des Muskeltonus sowie einer Mobilisierung von Energiereserven aus der Leber. Im Falle der Bewältigung dieser Belastung durch bereits vorhandene Verhaltensmuster, die auf neuronaler Ebene als spezifische Verschaltungen der Nervenzellen abgebildet sind, erlöscht diese Aktivierung. Wird die Situation jedoch als unkontrollierbar erlebt, kommt es zur Erregung einer weiteren Stressachse, des hypothalamo-hypophyseo-adrenocorticalen (HPA) Systems, das den Hypothalamus als Teil des Zwischenhirns mit der Hypophyse und die Nebennierenrinde umfasst (Hüther, 2007). Dabei kommt es durch die Freisetzung des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) aus dem Hypothalamus und von Corticotropin (ACTH) aus der Hypophyse zu einer Stimulation der Nebennierenrinde, die daraufhin das Glucocorticosteroid Cortisol ins Blut ausschüttet. Während bei intakter Regulation eine Hemmung des Hypothalamus und der Hypophyse durch negative Rückkoppelungsprozesse erfolgt, entgleist dieser Ablauf bei anhaltender Stresseinwirkung (Kaluza, 2012). Als Folge beschreibt Hüther eine erhöhte und andauernde Ausschüttung von Cortisol, das nicht nur die peripheren Körperbereiche, wie die Organe, sondern auch die Gehirnprozesse selbst über die dort vorhandenen Glucocorticoidrezeptoren beeinflusst. So werden durch den erhöhten Spiegel von Cortisol, aber auch von Adrenalin und Noradrenalin unter anderem die Durchblutung des Gehirns, die Freisetzung von intrazellulären Botenstoffen und der Hormonhaushalt verändert (Hüther, 2007). Die Modifikation dieser Prozesse äußert sich auf Ebene der Emotionen, des Verhaltens und der Motivation in Form von Angst, einer Steigerung der motorischen und sensorischen Reaktionsbereitschaft sowie der Aufmerksamkeit (Hüther, 1996). Bei einem anhaltenden unkontrollierbaren Stressor resultieren daraus jedoch eine Einschränkung körperlicher Funktionen, z.B. der Verdauungstätigkeit, Rückzugsverhalten, Hilflosigkeit und Erschöpfung (Hüther, 1996, 2007). Daran zeigt sich, dass das subjektive Erleben der Handhabbarkeit einer Situation auch auf physiologischer Ebene sichtbar wird und mit langfristigen Folgen verbunden ist (Hüther, 2007).Abbildung 2-1: Neuroendokrine Stressreaktion (eigene Darstellung, in Anlehnung an: Hüther, 1996, 2007; Kaluza, 2012)

Aus zahlreichen Untersuchungen geht außerdem hervor, dass sich Stress nicht nur auf die Organtätigkeit und auf neuronale Prozesse, sondern auch auf das Immunsystem auswirkt, indem die Immunaktivität bei akutem Stress gesteigert, bei langandauerndem, chronischem Stress hingegen gehemmt wird. Folgen davon sind eine erhöhte Infektanfälligkeit, unter anderem aufgrund einer verringerten Antikörperproduktion, und eine verzögerte Wundheilung (Ader & Cohen, 1993; Boll-Klatt, 2005; Nater, Ditzen & Ehlert, 2011). Auch bei der Immunmodulation spielen wiederum Adrenalin und Noradrenalin des Nebennierenmarks und die Glucocorticoide der Nebennierenrinde neben anderen Botenstoffen eine wesentliche Rolle (Klosterhalfen & Klosterhalfen, 1998). Zudem zeigt sich eine wechselseitige Beeinflussung von immunologischen, neuronalen und psychischen Prozessen, womit sich die Psychoneuroimmunologie, eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin, in den letzten Jahren vermehrt auseinandergesetzt hat (Ader & Cohen, 1993; Boll-Klatt, 2005; Kiecolt-Glaser, McGuire, Robles & Glaser, 2002).

Vulnerabilität


Abgesehen von den Kognitionen, insbesondere der subjektiven Bewertung einer Situation, spielt in den Stressmodellen auch die Vulnerabilität oder Diathese als individueller Faktor eine Rolle in der Ausprägung von (psychosomatischen) Symptomen (Boll-Klatt,...



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