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Interpretation. Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers - Reclam Interpretation
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Interpretation. Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers - Reclam Interpretation
von: Hans Rudolf Vaget
Reclam Verlag, 2009
ISBN: 9783159500140
49 Seiten, Download: 270 KB
 
Format:  PDF
geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: B (paralleler Zugriff)

 

 
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Leseprobe

Werther und Lotte auf dem Kanapee

Ziel- und Höhepunkt der den ganzen Roman beherrschenden Leseproblematik ist die gemeinsame Ossian-Lektüre auf dem Kanapee in Lottes Haus. An dieser Stelle – es ist der vorletzte Leseakt des zum Sterben Entschlossenen, vor seiner finalen Emilia Galotti-Lektüre – wird die Ersatzfunktion, die das Lesen von Dichtung für Werther gewonnen hat, in aller Deutlichkeit einsichtig.

Gegen Lottes Wunsch, die ihn erst zu Weihnachten wiedersehen wollte, begibt sich Werther in der Nacht vor seinem Tode zu ihr. Den ganzen Tag hat er, wie vor einer Abreise, seine Sachen in Ordnung gebracht und gepackt – Bücher vor allem. Bücher sind denn auch der Vorwand für diesen Besuch, der Lotte in die größte Verlegenheit stürzt. Werther bringt einige Bücher zurück, die er von Lotte entliehen hatte. Diese erkundigt sich nun, um das Gespräch »allgemein« und unverfänglich zu halten, nach anderen Büchern, nicht ahnend, dass es für einen passionierten, sich selbst in den Text projizierenden Leser wie Werther schlechterdings keine unverfänglichen Bücher gibt. Werther aber steht der Sinn nicht nach einer Unterhaltung über Bücher. »Um sich zu erholen«, wie der Herausgeber mit fühlbarer Anteilnahme berichtet, und um »die Verwirrung ihres Herzens zu stillen«, klimpert sie »einige Menuets auf dem Clavier.«

Die Gedrücktheit der Stimmung will jedoch nicht weichen. So setzt sie sich, äußerlich »gelassen«, doch gleichsam innerlich zitternd, mutig zu Werther aufs Kanapee. Es spricht Mut aus ihrer Geste, denn Lotte hat allen Grund, eine leidenschaftliche Abschiedsszene zu befürchten; Mut aber auch zu sich selbst, insofern sie Alberts »Grillen«, d. h. seiner Eifersucht, Trotz bietet und sich selbstbewusst an »das Gefühl ihrer Unschuld« klammert. Wie um den Leidenschaftsausbruch zu verhindern, fragt sie: »Haben Sie nichts zu lesen?« (127.) Offensichtlich reflektiert das zugrunde liegende Kalkül die schlichten Lesegewohnheiten Lottes, denn Werther liest grundsätzlich zu ganz anderen Zwecken als denen der Zerstreuung. Werther verneint die Frage, denn die eben retournierten Bücher kennen beide schon, sie sind offenbar nicht würdig, in dieser Stunde wiedergelesen zu werden. In dieser Verlegenheit erinnert sich schließlich die immer noch auf Ablenken und Hinhalten bedachte Lotte der Ossian-Übersetzung Werthers, die noch ungelesen seit einiger Zeit schon in ihrer Schublade ruht.

»Er lächelte« (127), berichtet der Herausgeber. Worüber Werther hier wohl lächelt? Lächelt er resigniert, weil die Geliebte die Frucht seiner literarischen Liebesmüh ungelesen liegen ließ? Durchschaut er die Unangemessenheit von Lottes Bemühen, ihn durch Lektüre zu beruhigen? Oder antizipiert er die schaurigen Wonnen, die ihm die Gesänge des »wandelnden grauen Barden« (96), wie schon zuvor (12. Oktober 1772), gewähren werden? Wahrscheinlich macht ihn die Vorahnung eines sublimen Selbstgenusses lächeln, den er diesem Text, wie er aus Erfahrung weiß, abzugewinnen vermag. Denn was er im Begriffe steht zu lesen, ist ›sein‹ Ossian in jedem Sinne des Wortes, der von ihm übersetzte wie der originale, wenn denn diese Vokabel hier am Platze ist. In dem Vorauswissen um diese Gefühlskongruenz zwischen Leser und Text überlässt sich Werther den Tränen, noch bevor er eine Zeile gelesen hat.



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