6 Noch einmal: Weshalb gibt es Abseits? (S. 62-64)
Bei der Beschreibung der verschiedenen Stadien, die die Abseitsregel in der Geschichte des modernen Fußballs durchlief, klang es an: Im Gegensatz zu den Bestimmungen, die die Grundbegriffe des Spiels definieren, die Maße des Spielfeldes und die Spieldauer fixieren oder »verbotenes Spiel« und daraus resultierende Sanktionen beschreiben, greift die Abseitsregel in das Grundgefüge ein und nötigt die Akteure viel stärker als andere Regeln dazu, das System ihrer Aufstellung zu überdenken.
Abseits beschreibt nicht, was in der direkten körperlichen Auseinandersetzung von Mann zu Mann erlaubt ist, sondern unterbindet bestimmte Positionen der Spieler, die nicht im Ballbesitz sind. Es zwingt somit sowohl denjenigen, der den Ball führt, als auch denjenigen, der das Zuspiel erwartet, dazu, den eigenen Standort, mit Blick auf die gegnerischen Abwehrspieler, unablässig zu überprüfen. Abseits zu vermeiden verlangt Auffassungsgabe, und Stürmer mit eingeschränkter Wahrnehmung scheitern nicht selten an dieser Intelligenz verlangenden Fragestellung. Trainer sehen dem mit Schrecken zu. Manfred Krafft, in den 1980er Jahren unter anderem Coach des Karlsruher SC, resümierte dies in einer Spielbilanz fatalistisch: »Meine Mannschaft ist 15- oder 16mal ins Abseits gelaufen.
Das haben wir auch die ganze Woche geübt.« Tröstlich: Die Dummheit, ins Abseits zu laufen, hat nur einen indirekten Freistoß und selbst nach dem sechzehnten Mal keine gelbe Karte zur Folge. Die Abseitsregel verlangt den Akteuren ein »geordnetes Verhalten auf dem Feld« ab und sorgt dafür, dass ein Torerfolg »nur mit spielerischer Intelligenz« (Christoph Bausenwein) erzielt werden kann. Selbst wenn man dies – mit der Erinnerung an »Duseltore«, die eher dem Zufall denn der Genialität zuzuschreiben sind – einschränken mag, ist unstrittig, dass die Strukturregel Abseits dem Fußball höhere Weihen gibt und ihn von anderen Ballspielen abgrenzt.
Handball oder Basketball kennen keine Regel dieser Art, und folglich markiert das schnell zu überbrückende Mittelfeld in ihrer Spielpraxis einen Raum von geringer strategischer Bedeutung. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass das Interesse für Feldhandball, das noch nach dem Zweiten Weltkrieg groß war, nicht zuletzt deshalb zurückging, weil das Fehlen einer dem Fußball verwandten Abseitsregel das taktische Variationsspektrum des Kombinationsspiels einschränkte und Feldhandball deshalb vielen als einfallslos und stumpfsinnig erschien. Fußballer hingegen kommen nicht umhin, den – so Stefan Lottermann – »großen Aktionsraum zwischen den beiden Toren, der eine erhebliche strategisch-taktische Dimension innehat«, zu nutzen.
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